Das Projekt „Rechtsrezeption und Resilienz“ wird sich in der zweiten Förderphase Institutionen der sog. Laiengerichtsbarkeit (Schöffenstühlen und Oberhöfen) bzw. den an diesen Gerichten tätigen Personen (Laienrichter/Schöffen, aber auch Schreiber und berufsmäßige Fürsprecher) beschäftigen. Im Mittelpunkt steht der Umgang dieser Akteure mit der existenziellen Bedrohung der Institution der Laiengerichtsbarkeit in der Rezeptionszeit. Das Projekt konzentriert sich auf den Zeitraum von etwa 1450 bis 1550. Im Mittelpunkt steht das bedeutende Schöffengericht zu Ingelheim, das als Oberhof für eine große Zahl lokaler Gerichte fungierte. Weitere Gerichte der Region werden berücksichtigt, soweit es nach der Quellenlage möglich und geboten ist. Zum Vergleich werden die sächsischen Schöffenstühle, vor allem der besonders langlebige Leipziger Schöffenstuhl herangezogen. Dem Projekt liegt die Annahme zugrunde, dass die Rechtsprechung durch Laienrichter an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in eine schwere Krise geriet. Gründe dieser Krise sind (1) der zunehmende Einfluss des gelehrten Rechts in Deutschland und die damit einhergehende Verdrängung der traditionellen Rechtsexperten („Laien“) durch an Universitäten ausgebildeten Juristen und (2) das Bestreben der entstehenden Territorialstaaten im Reich, die Rechtsprechung unter der zentralen Kontrolle des Landesfürsten zu monopolisieren. Für die einzelnen Schöffen implizierte der Bedeutungsverlust oder die Auflösung der Laiengerichte nicht unbedingt eine wirtschaftliche Bedrohung, denn sie waren nicht auf Einnahmen aus der laienrichterlichen Tätigkeit angewiesen. Es darf aber angenommen werden, dass ihnen jedenfalls ein erheblicher Verlust an Sozialprestige und Status drohte. Für andere Beteiligte, wie die angestellten Gerichtsschreiber und die am Schöffengericht tätigen professionellen Fürsprecher kann sich die Krise der Laiengerichtsbarkeit als unmittelbare Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz dargestellt haben. Vor diesem Hintergrund wird mit den heuristischen Mitteln der Resilienztheorie untersucht, welche Strategien die betroffenen Akteure einsetzten, um das Überleben ihrer Institution zu sichern, welche Dispositionen ihnen dabei halfen und auf welche Ressourcen sie zurückgreifen konnten. Es wird gefragt, welche Potentiale zur Bewältigung der Bedrohung, zur Anpassung der Laiengerichtsbarkeit oder gar zu ihrer Transformation frei wurden. Damit fokussiert das Projekt auf die Untersuchung von Kontinuität und Diskontinuität an einem Schnittpunkt von Rechts-, Institutions- und Sozialgeschichte. Als Nebenertrag sind Erkenntnisse zu der vielumstrittenen Frage zu erwarten, wie der Vorgang der ‚Rezeption des römischen Rechts‘ begrifflich präzise erfasst und beschrieben werden kann.