Untersucht wird die spätmittelalterliche Wirkungsgeschichte der römischen Gesetzgebung zum Kreditrecht. Es geht um die Frage, ob die römischen Gesetze in der Umbruchperiode des Spätmittelalters als Resilienzressourcen wirksam wurden. Halfen die antiken römischen Rechtsnormen den wirtschaftlichen Akteuren und sozialen Einheiten des späten Mittelalters (Städten, Handelshäusern), die ökonomischen Folgen disruptiver Ereignisse wie der großen Pestepidemie nach 1348 zu bewältigen, sich an veränderte Bedingungen anzupassen oder zu transformieren? Welche Akteure bedienten sich des römischen Rechts als Resilienzressource und welche Nebenfolgen traten im Rahmen von Resilienzstrategien auf, die sich auf das rezipierte römische Kreditrecht stützten?
In den unter Kaiser Justinian I. (527-565) erstellten Rechtsbüchern sind zahlreiche Vorschriften enthalten, die den Darlehensvertrag, das Recht der Kreditsicherheiten (Bürgschaft, Pfand) und das Geld- und Währungsrecht betreffen. Sie wurden überwiegend von den Kaisern der Spätantike erlassen. Genannt seien das Verbot der Verfallklausel beim Pfand durch Kaiser Constantin I. oder die Schaffung der Einrede der Vorausklage für Bürgen durch Justinian. Im Zug der Rezeption des römischen Rechts ab Ende des 11. Jahrhunderts wurden diese Vorschriften Teil der europäischen Privatrechtstradition. Manche der spätantiken Regelungen finden sich noch in den modernen Zivilgesetzbüchern wieder.
Im Mittelpunkt der ersten Förderperiode steht die Rechtsanwendung in Oberitalien während des 14. Jahrhunderts. Anhand der Kommentare der spätmittelalterlichen Juristen, aber auch von (gedruckten) Urteilen und Rechtsgutachten sowie von in modernen Editionen verfügbaren Notariatsurkunden wird untersucht, welche Rolle das rezipierte Recht für die Resilienzstrategien der wirtschaftlichen Akteure spielte. Von wem wurden römische Normen zur Verteidigung wirtschaftlicher Interessen mobilisiert? Wurden sie in städtische Statuten übernommen, von Rechtsgutachtern als Argumentationsgrundlage genutzt, von Notaren beachtet?
Die Wirkungen der rezipierten Normen können auf verschiedenen Ebenen liegen. In sozio-ökonomischer Perspektive wird untersucht, inwieweit die römischen Rechtsnormen unmittelbar auf das Wirtschaftssystem wirkten und dessen Vulnerabilität verringerten. In sozio-kultureller Perspektive wird gefragt, ob womöglich jenseits konkreter ökonomischer Effekte das Bewusstsein, den Schutz der römischen Kaisergesetze zu genießen, als Element von individuellen Deutungsmustern und Selbstbeschreibungen in Betracht kommt. In sozio-politischer Perspektive geht es um den Einsatz des rezipierten Rechts als obrigkeitliches Steuerungsmittel.
Das Projekt leistet einen Beitrag zur Diskussion um die rechtspraktischen Folgen der Rezeption. Die Frage nach Nebenfolgen verweist auf eine in jüngster Zeit geführte Debatte: Die Legalorigins-Theorie postuliert, dass die Rezeption des römischen Rechts langfristig nachteilig war.
Vorträge der Projektbeteiligten
- Lux, Maria: Kreditsicherung: Gefahrverteilung und Risiko(un)gleichgewicht, im Rahmen der Tagung: 70. Session der Société Internationale Fernand De Visscher pour l’Histoire des Droits de l‘Antiquité in Paris. Generalthema der Tagung: „Ius et Periculum“ Paris, 15. September 2016.
- Rüfner, Thomas: Bartolomeo de Bosco on buying and selling slaves, Vortrag im Rahmen des Workshops „Social Issues in Late 14th-Century Thought – Canon Law, Roman Law and Theology“, Trier, 7. Juli 2017.
- Rüfner, Thomas: Tipping the Scales of Justice: Roman Law as a Resource in Medieval Legal Discourse, Vortrag im Rahmen der internationalen Tagung „Strategies, Dispositions and Resources of Social Resilience“, Trier, 14. März 2018.
- Rüfner, Thomas: Resilienz durch Repertorien? Zu Organisation und Erschließung von Rechtsinformationen in der Vormoderne, im Rahmen des Workshops „Informationsverarbeitung, -management und -politik in der Stadt des 12. bis 16. Jahrhunderts: Historische Zugänge zum Konzept der Resilienz“, Venedig, 3. April 2019.
- Lux, Maria: Resilienz trotz Informationsmangel? Gutachterliche Entscheidungsfindung bei ungesicherter Faktenlage, im Rahmen des Workshops „Informationsverarbeitung, -management und -politik in der Stadt des 12. bis 16. Jahrhunderts: Historische Zugänge zum Konzept der Resilienz“, Venedig, 3. April 2019.
Projektbezogene Publikationen
- Rüfner, Thomas (2011): Historischer Überblick: Studium, Prüfungen, Berufszugang der Juristen in der geschichtlichen Entwicklung, in: Christian Baldus, Thomas Finkenauer, Thomas Rüfner, Bologna und das Rechtsstudium. Fortschritte und Rückschritte in der europäischen Juristenausbildung. Tübingen, S. 3–31.
- Rüfner, Thomas (2012): Historische Bemerkungen zur Regel male captus bene detentus, in: Matthias Ruffert (Hg.), Dynamik und Nachhaltigkeit des Öffentlichen Rechts. Festschrift für Professor Dr. Meinhard Schröder zum 70. Geburtstag, Berlin, S. 85–105.
- Rüfner, Thomas (2017): Untertanenprozess und class action, in: Wolfgang Hau, Hubert Schmidt (Hg.), Trierer Festschrift für Walter Lindacher, München, S. 359–371.
- Rüfner, Thomas (2018a): Art. 18: 301–307 – Passing of Risk, in: Reinhard Zimmermann, Nils Jansen, Commentaries on European Contract Laws. Oxford, S. 2022–2072.
- Rüfner, Thomas (2018b): Substance of Medieval Roman Law – The Development of Private Law. In: Heikki Pihlajamäki u.a. (Hg.), The Oxford Handbook of European Legal History. Oxford, S. 309–331.
Projektbezogene Tagungen
Forschungsreisen der Projektbeteiligten
März 2017 |
Lux, Maria: Besuch der Bayrischen Staatsbibliothek in München |
August 2018 |
Lux, Maria: Besuch der Bayrischen Staatsbibliothek in München |
August 2018 |
Lux, Maria: Besuch von Kenneth Pennington (Professor Emeritus, The Catholic University of America, Washington D.C., USA) |
Januar 2019 |
Lux, Maria: Besuch der Bibliotheca Apostolica Vaticana in Rom zur Sichtung der Handschriften zu den Gutachten des Baldus de Ubaldis |