Präsentation Projekt 1 – 2020-10-05

In der Arbeitssitzung am 5. Oktober 2020 wurden Perspektiven auf Resilienz aus dem Projekt 1, das sich mit der Reorganisation von Judengemeinden im ländlichen Raum im 15. und 16. Jahrhundert befasst, diskutiert. Die jüdische Siedlungsgeschichte zeigt, dass die im Spätmittelalter aus den deutschen Städten vertriebenen Juden neue Schwerpunkte in den Regionen Franken, Elsass und Wetterau ausbildeten. In der letztgenannten Region wurde die Entwicklung einer regionalen Judenschaft mit Schwerpunkt in der Stadt Friedberg durch die Beziehungen zur bedeutenden Gemeinde der Messestadt Frankfurt gestützt. Die Juden dieser Großregion waren unter anderem durch die Agitation des Konvertiten Johannes Pfefferkorn gefährdet, der 1509 die Beschlagnahmung und Vernichtung jüdischer Schriften forderte. In seiner Bachelorarbeit hebt Ivo Köth den diplomatischen Einsatz jüdischer Akteure bei der Bewältigung dieser Krise bisher hervor. Eine von Gerd Mentgen entdeckte Quelle über die Ritualmordbeschuldigung im schwäbischen Geisingen 1518 unterstreicht die Relevanz jüdischer Einzelakteure in politischen Prozessen im südwestdeutschen Raum. Zur selben Zeit wirkte Josel von Rosheim als Vorsteher der elsässischen Judenschaft. Bereits seit 1390 waren die Juden aus dem zentralen Knotenpunkt der Region, der Stadt Straßburg, ausgewiesen worden, und siedelten überwiegend in den Städten und Dörfern der Reichslandvogtei Hagenau. Anhand der historischen Aufzeichnungen von Rabbi Josel und einer von ihm 1522 an den Reichstag in Nürnberg gerichteten Beschwerdeschrift lässt sich seine Intervention im Konflikt um die Vertreibung der Juden aus der Stadt Oberehnheim nachvollziehen. Trotz mehrfacher Aufforderung durch die Reichslandvogtei verweigerte der Stadtrat die Rückkehr der 1477/78 Vertriebenen und erwirkte 1507 schließlich ein kaiserliches Privileg de non tolerandis judaeis. Josel von Rosheim betonte in seiner Klage vor dem Reichstag unter anderem die Signalwirkung dieser Entscheidung für die umliegenden Städte, deren Korrespondenz den Versuch zur Synchronisierung ihrer Judenpolitik zeigt. Auch Kaiser Maximilian hatte zuvor eine regionale Perspektive im Streit mit der Stadt Oberehnheim eingenommen: Die Juden müssten, damit ihr Wuchergeschäft stärkerer Kontrolle unterliege, in die Städte zurückkehren. Die in den Quellen hervorgehobenen Aspekte legen also einen hohen Stellenwert räumlicher Beziehungen für die Stabilisierung des Siedlungsnetzwerkes nahe. Die Untersuchung der jüdischen Diplomatie in regionalen und überregionalen Konflikten kann dabei helfen, Klarheit über das Verhältnis von individuellen Akteuren und gemeindlichen Institutionen in Resilienzprozessen zu gewinnen.

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