Tagungsbericht „Beharrung und Innovation in Süditalien unter den frühen angiovinischen Herrschern im 13. und 14. Jahrhundert. Persistenza e innovazione nell’Italia meridionale sotto le dinastie angioine del Duecento e del Trecento“

Vom 8. bis 10. November 2018 fand in Trier eine internationale, bilingual ausgerichtete, mediävistische Tagung rund um Süditalien im ausgehenden 13. Jahrhundert unter den frühen Angiovinen statt und bildete den Rahmen für intensive Diskussionen und interkulturellen Austausch zwischen deutsch- und italienischsprachigen Referenten und Teilnehmern.

 

Eingeladen hatte das Team des Projekts „Resilienz in Süditalien unter den frühen Anjouherrschern (1266–1309)“ der interdisziplinär ausgerichteten DFG-Forschungsgruppe 2539: „Resilienz. Gesellschaftliche Umbruchsphasen im Dialog zwischen Mediävistik und Soziologie“ unter Leitung von LUKAS CLEMENS, Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Trier.

 

Er stellte zu Beginn der Tagung (Donnerstag, 8.11.) den Teilnehmern in seiner Begrüßung und fachlichen Einordnung auch das Konzept der Resilienzforschung vor. Dieses wird in unterschiedlichsten Fachwissenschaften zur Untersuchung von Bewältigungsstrategien sogenannter disruptiver Ereignisse, die das Leben und Überleben sozialer Einheiten gefährden, eingesetzt. Zur Überwindung dieser einschneidenden Veränderungen sozialer, kultureller oder politischer Natur muss das untersuchte Individuum, bzw. die Gruppe situationsadäquate Handlungsoptionen entwickeln. Der Trierer Forschungsverbund untersucht seit Mitte 2016 in sechs Projekten neben der soziologischen Resilienztheorie die Beharrungs-, Adaptions- und Transformationsstrategien verschiedener mediävistischer Forschungsschwerpunkte. Das ausrichtende Projekt befasst sich mit der Zeit der ersten angiovinischen Herrscher im Königreich Sizilien, in die mehrere dieser disruptiven Ereignisse fallen. Auch auf diese kam Lukas Clemens überblicksartig zu sprechen.

Papst Clemens IV. ließ 1266 einen Franzosen zum König von Sizilien krönen. Das _Regnum Siciliae_ – zu dieser Zeit bestehend aus der Insel Sizilien und dem süditalienischen Festland – hatte aber bereits einen Herrscher: den Staufer Manfred. Die Päpste sahen nach dem Tod Kaiser Friedrichs II. in der Neuvergabe des Lehens eine Möglichkeit, sich aus der Umklammerung der Staufer in Ober- und Unteritalien zu lösen. So wurde der jüngste Bruder des französischen Königs, ein gewisser Karl, Graf von Anjou und Maine sowie der Provence, vom Papst mit dem Königreich Sizilien belehnt, das er aber noch erobern musste. In den Schlachten von Benevent (26. Februar 1266) und Tagliacozzo (23. August 1268) konnte er sich gegen die Staufer Manfred und Konradin durchsetzen. Auch nach der Etablierung der französischen Fremdherrschaft kam das Königreich nicht zur Ruhe: Die sogenannte Sizilianische Vesper, ein sich 1282 ausbreitender Volksaufstand auf der Insel Sizilien, führte im Endresultat zu einer Spaltung des Herrschaftsgebiets in ein Insel-Königreich unter Peter III. von Aragón, der sich in der Folge ebenfalls zum König von Sizilien krönte, und ein Festland-Königreich, das in angiovinischer Hand verblieb. Die nun nochmals veränderten Machtverhältnisse führten zu weiteren Entwicklungen vielfältiger Natur. Karl und seine Nachfolger mussten ihre verbliebenen Ressourcen nun darauf ausrichten, nicht auch noch den Rest ihres Königreichs zu verlieren.

Beide genannten disruptiven Ereignisse – die gewaltsame Herrschaftsübernahme Karls von Anjou im Königreich Sizilien und die Spaltung des Königreichs infolge der Sizilianischen Vesper – hatten tiefgreifende Auswirkungen für Herrscher und Beherrschte, geistliche und weltliche Eliten in allen zugehörigen Regionen, für religiöse Minderheiten und nicht zuletzt auch für die Wirtschaft des Landes.

Die Tagung hatte das Ziel, den auf diese Umbrüche reagierenden Beharrungs- und Innovationsleistungen unterschiedlichster Gruppierungen des französisch regierten Königreichs Siziliens multiperspektivisch nachzugehen. Zu diesem Zweck teilte sich die Veranstaltung in die Sektionen „Herrschaft“, „Kirche“, „Wirtschaft“ und „Religiöse Minderheiten“.

Wolfgang Huschner (Leipzig) moderierte anschließend die erste Sektion „Herrschaft“. Die Vorgänge und Herausforderungen für Karl von Anjou nach seiner Herrschaftsübernahme thematisierte MARIE ULRIKE JAROS (Leipzig) in einem Vortrag über „Alte und neue Eliten in den ersten Regierungsjahren Karls I. von Anjou“. Es gelang ihr höchst anschaulich übergeordnete Strategien der Herrschaftssicherung durch den neuen König, wie das rabiate Vorgehen gegen die etablierten stauferfreundlichen Adligen, die systematische Anwerbung francoprovenzalischer Adliger oder die interkulturelle Hochzeitspolitik, darzustellen. Im Blick der Referentin waren außerdem die sogenannten „alten neuen Eliten“, die in der Stauferzeit als deren Gegner aus dem Königreich hatten fliehen müssen und im Gefolge Karls wieder in ihre Heimat zurückkehrten, genauso wie diejenigen Stauferfreunde, die sich nach dem Herrschaftswechsel dem Zugriff des Angiovinen entziehend zum aragonesischen Hof hatten retten können, um infolge der Sizilianischen Vesper wieder auf die Insel zu ziehen.

ANDREA CASALBONI (Rom) erweiterte diesen Sachverhalt durch seinen italienischsprachigen Vortrag zur wechselvollen Geschichte des Adels in einer süditalienischen Grenzregion zum Kirchenstaat – den Abruzzen – zwischen Staufern und Angiovinen („Resilienza e crescita: la bassa nobilità della frontiera abruzzese tra svevi e angioini (XIII e XIV secolo)“). Der sehr unterschiedliche Umgang der verschiedenen Herrscher mit der erst kurz zuvor gegründeten Stadt L’Aquila ließ sich anhand der Vielzahl von Andrea Casalboni präsentierten Quellen gut nachvollziehen. Dabei trugen die aufstrebenden Städter nicht nur Machtkämpfe gegen die jeweiligen Souveräne, sondern auch untereinander aus.

Der Vortrag von SEBASTIAN SCHAARSCHMIDT (Chemnitz) „Der herausgeforderte König. Strategien der Anjou zur Bewahrung der Herrschaft nach der sizilianischen Vesper“ führte zurück zu den fachlichen Inhalten und zu einem denkwürdigen Ereignis des Jahres 1283. Das Ansehen Karls von Anjou hatte infolge der Sizilianischen Vesper herbe Schläge einstecken müssen. Um wieder handlungsfähiger zu werden musste sich der etwa 56jährige Karl, so die These des Vortrags, noch einmal als Krieger und militärischer Anführer präsentieren. Zu diesem Zweck forderte er seinen Widersacher Peter von Aragón zu einem Duell mit je einhundert Rittern auf jeder Seite heraus. Obwohl es gewissenhaft vorbereitet und die Bedingungen akribisch verhandelt wurden, fand der eigentliche Kampf dann aber doch nicht statt. Trotzdem gelang es beiden Kontrahenten, ihre Position im eigenen Lager zu festigen, indem sie den jeweils anderen dafür verantwortlich machten.

Da ANTONIO MACCHIONE (Cosenza) leider nicht zur Tagung erscheinen konnte, wurde sein Manuskript „Lo scontro tra Corona e poteri locali dopo la Guerra del Vespro (1302–1343)“ von Antonio Antonetti verlesen. Im Fokus stand der Konflikt zwischen Angiovinen und lokalen Eliten nach der Sizilianischen Vesper bis hinein ins 14. Jahrhundert – im Besonderen das Problem der Herrschaftsdurchsetzung durch Beamte der Krone.

Im Rahmen der auf die anschließende Diskussion folgenden zweiten Sektion „Kirche“ stellte ANTONIO ANTONETTI (Salerno) nun seine eigene Forschung „I vescovi del Regno di fronte alla crisi. Riflessione e azione nell’opera dei vescovi tra fine Duecento e inizio Trecento“ vor. Die Bischöfe und Erzbischöfe bildeten im Hochmittelalter im Königreich Sizilien keinen einheitlichen Machtblock. Große Unterschiede herrschten sowohl zwischen verschiedenen Regionen, als auch in der Größe und Bedeutung der (Erz-)Bistümer. Trotz der sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und jeweiligen Probleme formte sich nach der Sizilianischen Vesper ein Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer eigenen sozialen Gruppe aus, die sich durch die Freiheiten ihrer Kirchenrechte definierte.

Den letzten Vortrag dieses intensiven ersten Veranstaltungstages „Disordine, resilienza, mobilità: l’arcodiocesi di Capua in una difficile congiuntura (1298–1312)“ bestritt ANTONIO TAGLIENTE (Salerno). Anschaulich und ausführlich legte er die verworrenen und sehr unterschiedlichen Lebenswege von fünf aufeinanderfolgenden Erzbischöfen von Capua dar, die in der schwierigen Zeit nach der Sizilianischen Vesper sowohl eigene Interessen, als auch diejenigen ihres Erzbistums verfolgten.

Der zweite Veranstaltungstag (Freitag, 9.11.) stand ganz im Zeichen der Wirtschaft Süditaliens in angiovinischer Zeit. Michael Matheus (Mainz), moderierte die beiden zugehörigen Sektionsteile. Den Anfang machte JANINA KRÜGER (Trier) mit ihrem Vortrag „Resilienzstrategien und -ressourcen. Die kalabrische Montanwirtschaft unter den ersten angiovinischen Königen“. Aufschlussreich stellte sie die Herausforderungen vor allem im Bergbausektor nach der militärischen Herrschaftsübernahme durch Karl von Anjou dar. Dieser konnte nicht, wie zuvor Manfred, auf Metallimporte aus den stauferfreundlichen Nachbarländern zurückgreifen, weshalb er im kalabrischen Bergland alte Minen wieder in Betrieb nahm und neue erschließen ließ. Als während und nach der Sizilianischen Vesper schließlich auch diese Regionen verwüstet wurden, standen die Angiovinen wiederum vor neuen Herausforderungen. Besonders interessant war die Anwendung des sogenannten „Adaptive Cycle“ zur Erklärung verschiedener Phasen des jeweiligen Bewältigungsvorgangs.

Die Auswirkungen der angiovinischen Herrschaft auf den landwirtschaftlichen Sektor beleuchtete FRANCESCO VIOLANTE (Foggia) mit seinem Vortrag „Il sistema-masseria dinanzi alla congiuntura trecentesca: continuità e innovazioni“. Dabei zeigte er Kontinuitäten und Diskontinuitäten in diesem Bereich seit der Stauferherrschaft auf, so unter anderem den von der Krone initiierten Ausbau der Getreidewirtschaft in der Basilikata und in Apulien.

Am Nachmittag setzte KRISTJAN TOOMASPOEG (Lecce), die Sektion Wirtschaft mit dem Vortrag „Continuità, resilienza, innovazione. La politica fiscale e doganale nel Regno di Sicilia citeriore (Napoli) durante i regni di Carlo II, Roberto e Giovanna I (1285–1414)“ fort. Er gewährte einen interessanten Einblick in die Steuerpolitik der angiovinischen Könige infolge der Sizilianischen Vesper bis hinein ins 15. Jahrhundert. Er fokussierte vor allem die teilweise systembedingt sehr eingeschränkten Handlungsspielräume, die ihnen in den verschiedenen Phasen ihrer Herrschaft offenstanden. In seine sehr anschauliche Darstellung schloss er beispielsweise die _subventio generalis_ (eine direkte Steuer), die _baiulatio_ (eine Kompilation verschiedener indirekter Steuern auf Produktion, Transport, Verkauf etc.) oder auch unterschiedliche Besteuerungsoptionen von Import- und Exportgütern ein.

Letzter Vortragender an diesem Tag war NICOLÒ VILLANTI (Trieste), der mit „La difesa di uno spazio vitale. Relazioni commerciali tra il Regno e Ragusa (Dubrovnik) sotto Ladislao I (1386–1414)“ den Blick aus den Grenzen Süditaliens heraus zur damals schon wichtigen Handelsstadt Ragusa (heute Dubrovnik) lenkte. Mit großer Quellenkenntnis präsentierte der Referent Handelsstatistiken und diskutierte beispielsweise zunehmende Holz-Exporte nach Apulien. Es ging ihm aber nicht nur um die eigentlichen Warenströme, sondern auch auf einer Metaebene um den außenpolitischen Einfluss, bzw. auch die Abhängigkeit der Könige von Sizilien auf die bzw. von der Wirtschaft nahegelegener Regionen.

Am dritten und letzten Tag der Veranstaltung (Samstag, 10.11.) wurde die Sektion „Religiöse Minderheiten“ von Lukas Clemens moderiert. Im ersten Beitrag „Vulnerabilität und Existenzsicherungspotentiale. Die Judengemeinden des Königreichs Neapel unter den angiovinischen Herrschern“ von BENJAMIN SCHELLER (Duisburg-Essen) ging es um die durch die päpstliche Inquisition ausgelöste Massenkonversion des Jahres 1292 als disruptives Ereignis und die Resilienzbestrebungen der ehemaligen Judengemeinden. Diese gerieten in der Folge der Ereignisse zwischen die Interessensphären von Bischöfen, Adligen, der angiovinischen Krone und der Inquisition. Während letztere vehement die „rückfälligen“ Juden und solche, die darum bei ihren Glaubensgeschwistern warben, verfolgten und verurteilten, versuchten die anderen genannten Parteien von der Wirtschaftskraft der ortsansässigen ehemaligen Judengemeinschaften zu profitieren; sie boten Schutz gegen Steuern. Die ehemaligen Judengemeinden hatten aber nicht nur mit den regionalen Abhängigkeiten zu kämpfen, sondern auch mit der Möglichkeit eines Identitätsverlusts infolge der Konversion.

Den letzten Tagungsbeitrag lieferte RICHARD ENGL (München) zum diffizilen und höchst interessanten Thema „Resilienz eines interreligiösen Herrschaftssystems. Die angiovinische Eroberung und die Muslime Süditaliens“. Nach mehreren Rebellionen gegen den neuen König unterwarfen sich die Muslime aus Lucera im Rahmen einer feierlichen Prozession, und wurden – im Gegensatz zu den christlichen, stauferfreundlichen Adligen – begnadigt. Der Referent betrachtete die beidseitigen Ursachen und Hintergründe für die Unterwerfung bzw. die Begnadigung und ordnete sie in den Prozess der Herrschaftssicherung Karls ein. Die Muslime behielten ihre in der Stauferzeit zugesicherten Rechte der freien Glaubensausübung gegen entsprechende Steuern, sowie Beamten- und Militärdienste. Eine neue Führungsklasse muslimischer Ritter wurde etabliert, die fortan als Vermittler zwischen den christlichen Herrschern und der muslimischen Bevölkerung dienten. Während der Herrschaft Karls II. kam es dann aber zu weiteren Umbrüchen, die letztendlich in der Versklavung der muslimischen Bevölkerung Süditaliens im Jahr 1300 kumulierten.

Die Diskussion der beiden Vorträge mündete schließlich in einen übergeordneten fachlichen Austausch hinsichtlich verschiedener Resilienzstrategien unterschiedlichster, im Rahmen der Tagung vorgestellter Akteure und damit nahtlos in die Abschlussdiskussion, moderiert wiederum von Lukas Clemens. In Anbetracht des auf das hoch- und spätmittelalterliche Süditalien eingegrenzten Untersuchungskontextes ist es verblüffend, wie vielfältig die individuellen Probleme und Herausforderungen infolge der in dieser Tagung thematisierten disruptiven Ereignisse waren. Jede Bevölkerungsgruppe musste ganz eigene Bewältigungsstrategien entwickeln, um sich den neuen Bedingungen anzupassen. Wie vielfältig diese dann jeweils ausfielen, wurde durch den mehrperspektivischen Ansatz in den verschiedenen Sektionen mehr als deutlich.

Möchte man die Tagung in wenigen Worten charakterisieren, so würden wohl die Attribute „außerordentlich gut organisiert, bilingual, ein hoher fachlicher Anspruch und eine beinahe familiäre Atmosphäre“ am besten für diese sehr gelungene Veranstaltung stehen.

 

von Philipp Sebastian Weiß, Universität des Saarlandes, Saarbrücken