Projekt 6 „Eine resiliente Stadt: Die Republik Venedig im 15. Jahrhundert“

Im Mittelpunkt des mit dem Deutschen Studienzentrum in Venedig assoziierten Projekts steht die Resilienz der Republik Venedig im 15. Jahrhundert. Ohne Zweifel beruhte diese auf sehr unterschiedlichen Faktoren und Maßnahmen, die auf verschiedene Problemfelder zielten. Das Vorhaben selbst konzentriert sich auf den Rat der Zehn, der 1335 als Verfassungsorgan fest etabliert worden war und der Gefahren für die Republik als solche zu erkennen und schnell abzuwenden hatte. In Verbindung von sozio-kultureller und sozio-politischer Perspektive wird einerseits nach den Deutungsmustern gefragt, die den Rat der Zehn Vulnerabilitäten und disruptive Ereignisse identifizieren ließen, sein Eingreifen rechtfertigten, seine Strategien leiteten und die Auswahl bzw. Generierung seiner Ressourcen beeinflussten. Andererseits ist zu untersuchen, welche Stellung der Rat der Zehn im Macht- und Herrschaftsgefüge Venedigs einnahm, wie er im Einzelfall vorging und welchen Spielraum er besaß.

 

Den zeitlichen Rahmen bilden in einem ersten Schritt die wenig erforschten Jahrzehnte der Handelssperren Sigismunds (1412/13; 1418-1433), mit denen der ungarische und römisch-deutsche König auf die Expansionspolitik Venedigs reagierte. Obwohl die Republik in dieser Phase eine Vielzahl ineinandergreifender Herausforderungen zu bewältigen hatte und ihre Destabilisierung drohte, gingen das politische System und der Adel als seine Trägergruppe aus der Krise gestärkt hervor. Der bereits bestehende „Mythos Venedig“, der die Persistenz der Republik hervorhob und Resilienzprozesse überdeckte, wurde gefestigt und dauerhaft im historischen Gedächtnis verankert. Hier genauer hinzusehen und den Rat der Zehn in den Fokus zu nehmen, der im Umfeld der Embargos seine Kompetenzen erheblich erweiterte und polizeilich, richterlich und gesetzgeberisch tätig wurde, ist lohnenswert und führt zu hochaktuellen Fragen. Da zu den Strategien des Rats der Zehn die Zensur, der politische Mord und die Überwachung der Bürger zählten, muss auf der Basis der Untersuchungsergebnisse diskutiert werden, aus welchen Gründen die venezianische Gesellschaft derartige Handlungen tolerierte und warum sie Nebenfolgen wie eine von Mistrauen geprägte politische Kultur in Kauf nahm.

 

Ein Argument war die akute Notwendigkeit (necessitas), die situative, zur Verstetigung neigende Lösungen rechtfertigte und insofern in einem engen Zusammenhang mit den Vorgängen von Bewältigung, Anpassung und Transformation stand. Nicht zuletzt ihre Analyse lässt Aufschlüsse über politische Resilienz im fluiden Grenzraum zwischen Ausnahme- und Normalzustand erwarten.

 

Projektbezogene Tagungen

01.–03.04.2019 „Informationsgewinnung, -verarbeitung und -deutung in der Stadt des 12. bis 16. Jahrhunderts: historische Zugänge zum Konzept der Resilienz“, Venedig

 

Project 6 „A resilient City: The Republic of Venice in the 15th century“

The focal point of the project is the resilience of the Republic of Venice in the 15th century. This resilience can be attributed to different factors and responses to different types of problems. In the first funding period, the project concentrates on the Council of Ten, which was established in 1335 as the Republic’s constitutional body to identify dangers and quickly avert them. The project will inquire into the cultural and political framework that allowed the Council of Ten to identify vulnerabilities and disruptive events, and which justified its actions, guided its strategies and shaped its resources. At the same time, the project will examine the position of the Council of Ten within Venice’s power hierarchy, how it acted in individual cases and the leeway it possessed.

 

The temporal frame for the project spans the neglected decades of Sigismund’s trade embargos (1412–13, 1418–1433), which the King of Hungary and Germany (and later Holy Roman Emperor) imposed on trade with Venice in response to its expansion policy. Although the Republic faced a variety of interrelated challenges that threatened its stability, the political system and the nobility that supported it emerged from the crisis stronger than before. This lent the “myth of Venice” – which glorified its persistence and overlooked its efforts to remain politically resilient – additional credence, anchoring it in historical memory. A closer examination of this myth and the Council of Ten more relevant today than ever: the strategies of the Council of Ten, which during the embargo years expanded to assume an executive, judiciary and legislative scope, included censorship, political murder and the surveillance of its citizens. The project will explore why Venetian society tolerated such measures and why it was ready to accept the consequences – such as a political culture shaped by mistrust.

 

One argument was the idea of acute necessity necessitas, which justified situative solutions that tended to become permanent and in this sense was closely associated with processes of coping, adjustment and transformation. The analysis of this concept, which comprised the semantic spectrum of necessity, (basic) needs and exigency, will extend into the second funding period. This part of the project will explore how necessitas was thought about in legal, philosophical and political texts and instrumentalised in political communication in the late 15th and early 16centuries. It will provide insight into processes of political resilience in the diffuse grey zone between normalcy and emergency.