Projekt 6 „Kriminaljustiz im Westen des Reiches (15. bis 17. Jahrhundert). Resilienzprozesse am Beispiel von Hexerei- und Unzuchtsdelikten“

Das Projekt entwirft ein neues Deutungsmodell der Strafverfolgung wegen Hexerei und so genannter Unzucht (1400-1700) unter Nutzung des in der Forschungsgruppe erarbeiteten und weiterzuentwickelnden Resilienzkonzepts. Etablierte Konzepte, basierend auf einem unscharf-beliebigen Krisenbegriff, werden hinterfragt. Das Modell wird erstmals die nicht-lineare, Kontinuitäten und Diskontinuitäten gleichzeitig umschließende Prozesshaftigkeit von Resilienz, den Konstruktcharakter der jeweiligen Devianzen und Delikte sowie die Mehrebenendynamik von Akzeptanz und Skepsis berücksichtigen. Resilienz wird dabei als eine normativ neutrale Heuristik angewandt, um jenseits klassischer Epochengrenzen die Beschreibung der von Umbrüchen gekennzeichneten Jahrhunderte zwischen 1400 und 1700 weiterzuentwickeln.

Die These ist, dass die Resilienzstrategie „Kriminaljustiz“ auf drei Handlungsebenen (Herrschaftsträger, Gruppen und Individuen der Bevölkerung, juristische und theologische Experten) teils implizit, teils kalkulierend verwandt wurde. Die im Konzept der politischen Dämonologie gefasste „Hexenideologie“ wird als eine zeitgenössische sozialkonstruktivistische Interpretation verstanden (Selbstbeobachtung), welche als disruptiv wahrgenommene Phänomene deutete sowie handlungsleitende und handlungslegitimierende Anweisungen anbot.

Die Arbeitshypothese ist, dass die Verfolgung von Hexerei und Unzucht als normativ neutral gedachte Resilienzressource im Rahmen der Resilienzstrategie „Kriminaljustiz“ neu geschöpft, angewandt, aber auch verbraucht werden konnte. Die strafrechtliche Verfolgung des juristischen Konstrukts „Hexerei“ verband sich auf drei Ebenen mit der Zuschreibung bzw. Aburteilung sexueller Devianzen: 1. Unzuchtsvorwürfe (Teufelsbuhlschaft) waren immanente Bestandteile des Hexereidelikts; 2. Zuschreibungen von Unzucht mündeten häufig im Hexereiverdacht; 3. Unzuchts- und Hexereidelikte wurden gleichzeitig bzw. abwechselnd von der herrschaftlichen Justiz als land- und gemeinschaftsschädliche Vergehen gegen Gottes Ordnung verfolgt bzw. von gemeindlichen Akteure zur Anzeige gebracht. Herrschaftliche (top-down) sowie gemeindliche Akteure bzw. Akteursgruppen (bottom-up) wandten auf verschiedenen Handlungsebenen die Resilienzressourcen „Hexerei-“ bzw. „Unzuchtsverfahren“ an. Der Habitus, das Selbstverständnis und die Standespolitik – gedacht als Resilienzdispositionen – des Adels spielten dabei eine relevante Rolle. Gleichfalls gilt es, die Resilienzdispositionen städtischer Magistrate zu untersuchen.

Das Projekt konzentriert sich auf den Westen des Reiches mit dessen Übergangszonen zu Frankreich und den Spanischen Niederlanden. Herrschaftliche Fragmentierung, unterschiedliche Rechtstraditionen, Sprach- und Bistumsgrenzen charakterisieren diese Kernzone der europäischen Hexenverfolgungen, insbesondere aber den Eifel- und Ardennenraum. Die hervorragende Quellenüberlieferung erlaubt einen multiperspektivischen Zugriff auf die Forschungsfragen.


Forschungsvorhabenspezifische Publikationen

  • Voltmer, Rita (Hg.) (2018a): Herren und Hexen in der Nordeifel. Darstellung – Edition – Vergleiche. Weilerswist.
  • Voltmer, Rita (2018b): Witchcraft in the city. Patterns of Persecution in the Holy Roman Empire. In: Antoine Follain / Maryse Simon (Hg.): La sorcellerie et la ville. Witchcraft and the city. Strasbourg, S. 150–174.
  • Voltmer, Rita u.a. (Hg.) (2017): Hexenwissen. Zum Transfer von Magie- und Zauberei-Imaginationen in interdisziplinärer Perspektive. Trier.
  • Voltmer, Rita (2016): Jesuiten und Kinderhexen. Thesen zur Entstehung, Rezeption und Verbreitung eines Verfolgungsmusters. In: Wolfgang Behringer / Claudia Opitz-Belakhal (Hg.): Hexenkinder – Kinderbanden – Straßenkinder. Bielefeld, S. 201–232.
  • Voltmer, Rita (2015): The Judge’s lore? The politico-religious concept of metamorphose in the peripheries of Western Europe. In: Willem de Blécourt (Hg.): Werewolf Histories. Basingstoke, S. 159–184.
  • Voltmer, Rita (2012): Hexenpolitik im Saarraum? Zu Stand und Perspektiven landes- und kulturgeschichtlicher Hexenforschung in einer „passiven Geschichtslandschaft“. In: Brigitte Kasten (Hg.): Historische Blicke auf das Land an der Saar. 60 Jahre Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung. Saarbrücken, S.185–217.
  • Voltmer, Rita (2010): Die politischen Funktionen der frühneuzeitlichen Hexenverfolgungen. Machtdemonstration, Kontrolle und Herrschaftsverdichtung im Rhein-Maas-Raum. In: Martine Ostorero u.a. (Hg.): Chasses aux sorcières et démonologie. Entre discours et pratiques (XIVe-XVIIe siècles). Florenz, S. 89–115.
  • Voltmer, Rita (2009): Witch-finders, witch-hunters or kings of the sabbath? The prominent role of men in the mass persecutions of the Rhine-Meuse area (16th-17th centuries). In: Alison Rowlands (Hg.): Witchcraft and Masculinities in the Early Modern World. Basingstoke, S. 74–99.
  • Voltmer, Rita (Hg.) (2005): Hexenverfolgung und Herrschaftspraxis. Trier.
  • Voltmer, Rita (2002): Hochgerichte und Hexenprozesse. Zur herrschaftlich-politischen Instrumentalisierung von Hexenverfolgungen. In: Herbert Eiden / Rita Voltmer (Hg.): Hexenprozesse und Gerichtspraxis. Trier, S. 475–525.

Forschungsvorhabenspezifische Vorträge und Interviews

 

Vorträge

 

„Our indians“. The Jesuits encounter with “superstition” and popular magic in the European peripheries, Vortrag gehalten auf der Internationalen Konferenze Medicine, Magic, and Religion: Connected Worlds. Conference in Honour of Hans de Waardt, organized by Stevin Centre, ACRH, ACCESS and CLUE+, 23. November 2018, Vrije Universiteit Amsterdam

 

Jean Delumeau Revisited. The Invention of Medieval and Early Modern Fear and its Consequences, Vortrag gehalten auf der Internationalen Konferenz Negative Emotions in the Medieval and Early Modern Period c. 1100-1700, 1.-2. November 2018, Odense (Denmark)

The End of a Magical World? Eberhard David Hauber’s „Witchcraft Quarterly“ (1738-1745) and the Enlightened Discourse, Vortrag gehalten auf der Internationalen Konferenz Living in a Magical World: Inner Lives, 1300-1900, 17.-19. September 2018, Oxford (St. Anne’s College)

Apocalypse and Reform, Vortrag gehalten im Rahmen der Ausstellung Hull’s Cultures of Knowledge (c. 1470 to c. 1700): Exploring the Libraries of Holy Trinity Church, St Mary Lowgate, Hull Grammar Scholl, and the University of Hull rare Books Collection, Hull (GB), 13. Juli 2018

Tremate, tremate, le streghe son tornate. Über die Wirkmacht des Hexen-Narrativs in den europäischen Frauenbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, Vortrag gehalten auf der Tagung Verzicht auf Traditionsstiftung und Erinnerungsarbeit? Narrative der europäischen Frauenbewegung im 19. und 20. Jahrhundert, 19.-21. März 2018, Stuttgart-Hohenheim

Wetter oder kein Wetter? Indikatoren für den Zusammenhang zwischen meteorologischen Phänomenen und Hexenprozessen im Westen des Reiches, Vortrag gehalten auf der Tagung Die Hexen und das Wetter. Eine Diskussion zu Hexenverfolgung und Klimawandel, veranstaltet vom AKIH (Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung), 01.-03. Februar 2018, Stuttgart-Hohenheim

Interviews

Interview in SWR Landsschau, 30. 08. 2018, zu Dokumentarfilm „Hexenjagd“ (Regie: Roland May, Produktion: lavafilm GMBH)

https://www.swr.de/landesschau-rp/couchgespraech/rita-voltmer-die-hexen-expertin/-/id=5661010/did=22355384/nid=5661010/apm0j9/index.html

Interviewpartnerin und Beraterin beim Dokumentarfilm „Hexenjagd“ (Regie: Roland May, Produktion: lavafilm GMBH)

https://www.swr.de/unternehmen/kommunikation/22-hexenjagd-die-hexenverfolgung-im-suedwesten/-/id=10563098/did=22302052/nid=10563098/pkznck/index.html